Jedes Jahr, wenn es ans Einwintern meiner Pflanzen geht, hab ich das Gefühl, dass die Anzahl der (schweren) Töpfe und Schalen immer mehr wird. Das täuscht vermutlich nicht. Es lässt tief blicken, wenn das riesige alte Haus mit den zahlreichen (tiefen) Fensterbänken und sonstigen Stellflächen kaum ausreicht, um allen Pfleglingen einen guten Platz zum Überwintern zu bieten. Ich bin wirklich ein Depp in dieser Richtung – kann keine Pflanzen ausmustern und vermehre sie im Zweifelsfall auch noch. Man kann ja nie wissen, ob nicht einmal etwas eingeht. Oh Mann! Aber wenn schon, dann kann ich hier auch mal meine Erfahrungen dazu zusammentragen.
Von generativer Pflanzenvermehrung spricht man, wenn man aus Samen neue Exemplare heranzieht. Dies mache ich regelmäßig im Frühjahr mit (großteils) gekauftem Saatgut von den gängigen Kulturpflanzen wie Tomaten, Chilis, Rüben, Kohlarten, Kräutern etc. Der große Nachteil dabei ist, dass die Elternpflanzen dafür erbrein sein müssen, da sich der Nachwuchs sonst aufspaltet und die ursprünglich gewünschten Eigenschaften nicht erhalten bleiben. Aus den sogenannten F1-Hybriden ist es beispielsweise unmöglich, sauberes Saatgut zu ziehen. Für diese werden immer zwei reinerbige Elternlinien miteinander gekreuzt, wobei die erste nachfolgende Generation (F1, von filia = lateinisch für Tochter) meist sehr widerstandsfähig und ertragreich ist. Diese Kreuzung muss jedoch jährlich wiederholt werden, da sich die Nachkommen der F1-Hybriden nach den Mendelschen Gesetzen aufspalten und unkontrollierbare Ergebnisse liefern würden.
Hier kommt die vegetative Pflanzenvermehrung ins Spiel. Pflanzen haben die Fähigkeit, sich auch über Teile ihrer selbst fortzupflanzen. Während gerade kurzlebige Sommerblumen dafür kaum geeignet sind, haben andere Arten diese Methoden perfektioniert und dafür oft sogar die Fähigkeit zur geschlechtlichen Fortpflanzung verkümmern lassen. Der Vorteil in diesen Fällen: Die Nachkommenschaft trägt das Erbgut der Elternpflanze in sich – man erhält quasi eine eins zu eins Kopie. Der Nachteil: Die Pflanzenart verliert so ihre Chance auf evolutionäre Anpassung. Deshalb treten in der Natur beide Varianten der Fortpflanzung meist in Kombination zu verschiedenen Zeitpunkten auf.
Bei nicht vermehrungsfähigen Hybridsorten ist die vegetative Vermehrung aus genannten Gründen daher die einzig zielführende Methode.
Es gibt viele gängige Pflanzen, die sich auch ohne Samenbildung laufend selber vermehren – die Erdbeeren durch Ausläufer, die Grünlilie durch Achseltriebe usw. In diesen Fällen trennt man die „Pflanzenbabys“ einfach von der Mutterpflanze und kultiviert sie wie gewohnt weiter. Ebenso lassen sich viele Arten durch Teilung von Wurzelstock, Zwiebelknollen oder Rhizomen quasi „klonen“.
Aber auch Pflanzen, die keine Ausläufer, Kindel o.ä. bilden, können über Stecklinge meist sehr einfach vegetativ vermehrt werden – und zwar im Gegensatz zur Teilung auch in großen Mengen. Dabei werden der Mutterpflanze oberirdische Teile entnommen und in möglichst keimfreiem Substrat oder manchmal sogar in reinem Wasser zum Bilden von Wurzeln angeregt. Meist verwendet man dafür gesunde Triebspitzen, die man unterhalb der letzten drei bis vier Blattansätze abschneidet. Am besten direkt unterhalb eines Blattknotens, denn genau an dieser Stelle hat die Pflanze zur Bildung von Blättern und neuen Trieben Reservestoffe eingelagert, die bei der Wurzelbildung helfen.
Wenn man sich in die zu vermehrende Pflanze versetzt und ihre Bedürfnisse überdenkt, kann man eigentlich nicht viel falsch machen. Der zu bewurzelnde Steckling hat noch keine Versorgung aus dem Boden, weshalb er kräftig und gesund – und damit mit vielen eingelagerten Reservestoffen ausgerüstet – sein sollte. Etwaige Blütenanlagen sollte man unbedingt entfernen, da sie unnötig Energie verbrauchen. Ganz große Blätter kann man u.U. einkürzen um die Verdunstung zu verringern. Daher schadet es meistens auch nicht, die Anzuchtgefäße abzudecken um eine gewisse Luftfeuchtigkeit sicherzustellen. Man muss halt penibel drauf achten, dass sich dadurch kein Schimmel breit macht, und natürlich von Beginn an möglichst sauber arbeiten. Die ganzen Bewurzelungshormone und speziellen Substrate, die im Handel angeboten werden, hab ich allerdings noch nie verwendet. Meines Erachtens genügt normale Anzuchterde, eventuell mit etwas Sand versetzt, und ein bisschen Aufmerksamkeit, damit die Stecklinge gedeihen. Optimal sind meines Erachtens rund 20 bis 24 Grad Celsius Umgebungstemperatur, genügend Licht und eine konstante Luftfeuchtigkeit, aber keine dauerhafte Nässe.
Je nach verwendetem Pflanzenteil spricht man von Kopf-, Stängel-, Blatt- oder Wurzelstecklingen. Ich hab eigentlich alle Varianten schon erfolgreich ausprobiert, wobei die beste Methode je nach Pflanzenart variiert.
Kopfstecklinge
Für mich ist das die gängiste Methode, die z.B. bei den meisten Zimmerpflanzen am besten funktioniert. Dafür schneidet man einfach einen Trieb mit rund vier Blättern oder Blattpaaren wie oben beschrieben ab, setzt ihn in Anzuchterde ein, hält ihn feucht und kultiviert ihn normal weiter, sobald er angewurzelt hat. Vorsichtshalber kann man die Schnittstelle mit etwas Holzkohlepulver desinfizieren.
Das funktioniert beispielsweise perfekt für alle Begonienarten, Dieffenbachien, Efeu, Efeutute, Philodendron aber auch Oleander, Geranien und ähnliche Pflanzen. Sogar Kräuter wie Estragon, Lavendel, Ysop etc. lassen sich so vegetativ vermehren.
Stängelstecklinge
Bei vielen Pflanzen funktioniert dies nicht nur mit den Triebspitzen, sprich mit Kopfstecklingen, sondern auch mit den Stängeln und dort vorhandenen Knoten (Augen). Besonders empfehlenswert ist dies dann, wenn die Triebspitzen sehr weich sind und daher leicht faulen. Man kann so überdies aus einem Stängel eine große Anzahl Tochterpflanzen ziehen, was diese Methode sehr ergiebig macht.
Auf diese Art kann man beispielsweise Rosen vermehren, sofern man keinen Wert auf Frosthärte legt (dann wird veredelt). Oder aus einer alten Dieffenbachie im Handumdrehen ein halbes Dutzend ziehen.
Blattstecklinge
Dafür werden einzelne Blätter mit Stiel abgeschnitten (Blattstielstecklinge), oder auch Blätter in kleinere Teile zerteilt (Blattteilstecklinge) und bewurzelt. Man nimmt dafür meistens ausgereifte, aber nicht zu alte Blätter der Mutterpflanze, bringt Stängel bzw. Schnittstellen mit dem feuchten Substrat in Kontakt und erhält so neu bewurzelte Nachkömmlinge.
Das funktioniert super bei vielen Kakteen (z.B. bei meinem Feigenkaktus), Begonien, Kalanchoen etc.
Wurzelstecklinge (Fechser)
Dafür werden einfach Wurzeln in kleine Teilstücke geschnitten und in Anzuchtsubstrat weiterkultiviert. Hier ist der Zeitpunkt ziemlich wichtig: Man sollte diese Arbeiten nach Abschluss der Hauptwachstumsphase vornehmen. Bei guten Bedingungen genügen u.U. rund vier Zentimeter Wurzelmaterial, im Freien und zum Überwintern dürfen es schon einmal 15 Zentimeter sein, weil dann ja entsprechend viele Reservestoffe benötigt werden.
Super funktioniert dies bei Beinwell (den ich zwar gerne im Garten hätte, der aber bei dem trockenen Terrain nicht wirklich gedeiht) und insbesondere bei Kren (Meerettich).
Es gibt noch viele weitere Arten der vegetativen Pflanzenvermehrung, so z.B. das Abmoosen, das Okulieren (Augenveredelung) und das Kopulieren (Pfropfen). Da bin ich dabei, Erfahrungen zu sammeln und werde die auch hier zum Besten geben, sobald es funktioniert hat.
Und was den ganzen Pflanzenüberschuss bei uns in Haus und Garten betrifft, so geht mir die viele Arbeit zwar manchmal schon auf den Nerv. Aber wenn ich mir andererseits vorstelle, nicht mehr im Grünen zu wohnen oder mir gar nicht mehr die Hände mit Erde dreckig zu machen, dann würde mir schon ganz gewaltig etwas fehlen. In letzter Zeit reift daher eher der Gedanke heran, die Terrasse in einen großen grünen Wintergarten zu verwandeln.
Und so schaut das dann aus bei uns im Haus … Mann, hab ich einen Vogel. 😀